KINSALE

KINSALE

Home
Chat
About

Share this post

KINSALE
KINSALE
1.3. La Nena
Kapitel 1

1.3. La Nena

1930

Jun 05, 2025

Share this post

KINSALE
KINSALE
1.3. La Nena
1
Share
Cross-post from KINSALE
This post is from my ongoing novel project KINSALE. If you’re enjoying Komm to Germany, you might like this story as well. (It is in German) -
Eduardo de Leon

Elbita schaute zu wie Pedrito auf seinem alten Esel über den Dorfplatz kam.

Es war schon sehr spät. Alle Gäste saßen am langen Esstisch aus Mangoholz.

Sie war erleichtert, dass er endlich da war. Sie spürte, dass dieser Abend den Rest ihres Lebens ändern könnte.

In den Anden blieben die Haustüren tagsüber offen. Besucher klopften nur kurz und traten dann ein. Das Dorf war eine Familie, und wenn man Sonntags kochte, wusste man nie genau, wie viele zum essen kamen.

Um noch vor dem Abendbrot bei seiner Cousine Elbita im Nachbarort San Lazaro einzutreffen, musste Pedrito sich beeilen. Er hatte zu viel Zeit für die Zubereitung der Arepas gebraucht. Unterwegs musste er darauf achten, dass die selbst gebackenen kleinen Arepas nicht auseinanderfielen.

Er hatte sie ganz klein gemacht, wie sie in den venezolanischen Ausläufern der Anden, nahe der Grenze zu Kolumbien, gerne zur Haupstpeise gereicht wurden.

Elbita hatte einen Pabellón Criollo zubereitet. Dieses venezolanische Nationalgericht bestand aus gezupftem Rindfleisch, mit karamellisierten Zwiebeln. Dazu halbierte, frittierte, reife Gemüsebananen, mit weißem Käse überbacken. Und, die im ganzen karibischen Raum üblichen schwarzen Bohnen mit Reis, für den Hunger.

Dazu kamen nun die von Pedrito mitgebrachten kleinen Arepas, aus feingemahlenem, vorgekochtem Maismehl. Erst hatte er sie in Bällchen geformt und dann kunstvoll in einer stetigen Drehbewegung mit seinen Handflächen vorsichtig in dicke, gleichmäßige Scheiben gedrückt. Dann hatte er ein Bisschen Kleinholz hinten in den Steinofen gelegt, angezündet und die Arepas auf den heißen Stein im Inneren geschoben.

Größere Arepas konnten aufgeschnitten und mit dem Fleisch oder sonstigen Leckereien gefüllt werden. Die Kleinen konnten als kleine Arepitas wie Brot dazu gegessen werden, mit ein Bisschen Butter oder weißem Käse.

Zum Nachtisch gab`s Quesillo, ein großer karamellisierter Flan aus gezuckerter Kondensmilch. Das war Pedrito`s Lieblingsdessert. Für ihn machte Elbita ihn jeweils mit extra viel Karamellsauce drauf.

Nach dem Essen durften auch die kleinen Kinder wieder sprechen. Sie liefen laut schreiend im viereckigen offenen Patio den Fluren aus Pflasterstein entlang.

Als ältestes Kind im Haus, musste Elbita sich auch um ihre Geschwister und um die neue Frau ihres Vaters kümmern, die jünger war als sie.

Auch wenn sie selbst noch gar nicht erwachsen war, trug sie die gesamte Verantwortung für den Haushalt.

Nach dem Essen sassen die Familie Salas und Vallecillos und deren Gäste aus San Lazaro auf den Bänkchen im Patio. Im offenen Garten in der Mitte wuchsen hohe Kakteen, Bananenstauden, wilde Orchideen und Bougainvillea. Es war voller bunter Vögel, die laut zwitscherten.

Von den Fluren rundherum führten Türen in die einzelnen Zimmer im Haus, und zwischen den Türen waren die Bänke angebracht.

Elbita‘s kleine Schwestern Carmen und Elsi rannten herum, während die Brüder Raul und Albano die Männer nachahmten. Sie steckten sich ein Stück Zuckerrohr in den Mund und saugten den Zucker aus. Dabei taten sie so, als würden auch sie an einer dicken Zigarre ziehen.

Elbita`s Schwester Aura sass mit ihrem Nachbarn Isidro glücklich auf einem der Bänke. So saßen sie auch sechzig Jahre später noch, als ich sie besuchte.

Auch Pedrito sass neben Elbita auf einem Bänkchen, als gäbe es auf der ganzen Welt kein anderes Bänkchen.

Als Elbita wie zufällig zu ihm rüber schaute, sagte er plötzlich: „Heute kam ein Schreiben aus Valera. Ich muss zur militärischen Musterung.“ Mehr brachte er nicht heraus, denn er kämpfte noch mit der Bedeutung des Gesagten.

Elbita wartete erst mal ein paar Sekunden, damit sie die Nachricht nochmal durchdenken konnte. Normalerweise half ihr das immer, wenn sie schlechte Nachrichten empfing, was oft der Fall war.

Diesmal half das leider nicht, die Nachricht war eindeutig und klar. Pedrito sollte in den Militärdienst eingezogen werden.

Womöglich muss er in die Amazonas Region oder ins umstrittene Grenzgebiet mit Guyana. Niemand war je wieder gesund aus dem Militärdienst im Dschungel zurückgekehrt, wenn sie überhaupt zurückkehrten.

Vor allem aber war Pedrito ein Feingeist und überhaupt nicht dazu geeignet. Nicht wie die Bauernjungs der Gegend, die täglich fermentierten Tabak kauend in der gleißenden Sonne am Hang auf den Feldern arbeiteten und nicht mehr zur Schule gingen. Pedrito war sehr intelligent und der beste Schüler, er hatte eine große Zukunft vor sich.

Was in den nächsten Sekunden mit Elbita geschah, konnte sie gar nicht richtig verstehen. Es war ein ganz neues Gefühl, welches sie so noch nie empfunden hatte. Sie schaute auf die Orchideen, auf die Blüten der Bougainvillea, auf die glücklichen Vögelchen. Auf einem der hohen Kakteen war eine große hellrote Blüte. In diesen wenigen Sekunden reifte sie um Jahre. Es war, als würde sie für einen kurzen Augenblick ihre Zukunft sehen, die vielleicht gar nicht satt finden würde. Etwas lief furchtbar schief. Gleichzeitig fühlte sie, wie ihre Gefühle sich aus einer Verbotszone heraus befreiten, als wären sie bisher eingesperrt gewesen. Wie unter einer Schneedecke, wie sie sie schon mal auf dem Pico Humboldt gesehen hatte. Aber jetzt war der Schnee ganz plötzlich geschmolzen, und ihre Gefühle lagen ganz offen in der hellen Sonne. In diesen langen Sekunden wurde sie nun vollends erwachsen, sehr früh für ihr Alter. Aber das waren die Venezolanischen Anden.

Ihre Schwester Aura schaute sie entsetzt an. Sie hatte die Gabe, ihrer Schwester alles anzusehen. Sie sah ihr an, was nun auch Elbita klar war. Nämlich, dass die enorme Angst, die Elbita gerade spürte, nicht nur die Angst um ihren Cousin war. Es war die Angst um den Mann ihres Lebens.

Am folgenden Morgen ritt Pedrito‘s Papa nach Valera. Die Entdeckung des riesigen Ölfeldes am Maracaibo See hatte viel verändert und einen großen Einfluß auf Don Pedro`s Geschäfte. Er betrieb eine der größten Transportfirmen im Bundesland Trujillo.

Seit Präsident Gomez die Strasse zwischen Cúcuta in Kolumbien und San Cristóbal in Venezuela hatte bauen lassen, war das Transportgeschäft in einem schnellen Wandel begriffen. Immer mehr Autos kamen ins Land.

Im Verteilertransport zu abgelegenen Dörfern wie San Lazaro oder Santiago, setzte er noch Maultiere ein. Auch für den Transport zu den Haciendas auf den Bergen, den Lomas, wo Kaffee, Orangen, Bananen und viele wichtige Lebensmittel der Region herkamen, brauchte man noch Maulesel. Dort führten nur Trampelpfade hin, welche regelmäßig vom Wechsel zwischen dem kühlen Bergklima, der sengenden Sonne und den tropischen Gewittern unkenntlich gemacht wurden.

Die Pferde dienten dem Langstreckentransport, der Cordillera entlang, bis runter zur Küste. Manchmal erhielt Don Pedro sehr lukrative Transportaufträge über den Maracaibo See, die durch Sicherheitsleute abgesichert werden mussten. Piraten, die an den Küsten dieses großen Binnenmeeres lebten überfielen oft Fähren mit wertvollen Frachten nach Maracaibo. Oft lieferte er auch ins Landesinnere, in die ebenen Llanos. Zu den mächtigen Viehfarmern, den Llaneros, mit ihrem großen kulturellen Einfluß auf das Essen und die Musik in Venezuela. Auch in Trujillo wurde auf Volksfesten, den Parrandas, gerne zu Quatro und Tambores getanzt. Beim Joropo wurde dann zu afrikanischen Rhythmen in spanischen Melodien das Leben in den Anden besungen.

Dank der schnellen Erschließung des Erdöls im Maracaibo See durch amerikanische Firmen, drängte auch das Auto sich langsam in die Berge in Don Pedro`s Hauptgeschäftsfeld, was bald große Investitionen erforderte. Zum Glück hatte er gute Reserven und Beziehungen zur Banco de Maracaibo, die auch groß im neuen Ölgeschäft mitmischte.

In seiner Cabaña in Cabimas, am Maracaibo See, hatte er seit kurzem sogar schon ein Auto von Chrysler stehen. Das brauchte er, um schnell mit der Fähre nach Maracaibo überzusetzen, wo er den Firmensitz hatte.

Bald würde er einige Pferde verkaufen und stattdessen benzinbetriebene Lastkraftwagen auf den Langstrecken einsetzen. Er hatte sie beim modernen amerikanischen Autofabrikanten Chrysler schon vorbestellt.

Es war nur folgerichtig, dass die Familie später zum Generalvertreter von Chrysler in Venezuela wurde.

Die regionalen Chefs, die Caudillos, wurden immer gieriger. Sie zwangen jetzt nicht nur die Bauern, sondern auch die kleinen Unternehmen, ihnen immer höhere Abgaben zu zahlen.

Sie suchten neue Einnahmequellen, denn die von Präsident Gomez neu gebauten Straßen führten durch ihre Hoheitsgebiete, wodurch der Wegzoll an die Caudillos entfiel.

Dadurch wurden die armen Bergbauern, welche mit ihren Mauleseln noch die alten Wege nutzen mussten, jetzt noch öfter dazu aufgefordert, kurz vom Esel abzusteigen und zu bezahlen, bevor sie weiterdurften.

Der Caudillo in der Bundeshauptstadt Trujillo war Don Pedro`s alter Schulfreund. In der zweitgrößten Stadt, Valera, jedoch, war kürzlich der alte Caudillo gestorben, und mit dem Sohn hatte er noch nicht viel Kontakt gehabt. Taufe, heilige Kommunion, Firmung, Hochzeit, das übliche.

Es war ganz klar; seinen Sohn Pedrito zur militärischen Einmusterung zu berufen, war eine Provokation dieses jungen Caudillos. Er wollte sich der Hörigkeit der Unternehmer vergewissern. Don Pedro hatte diese Provokation richtig gedeutet. Es war eine persönliche Einladung, welcher er nun nachkam.

Sich mit dem aussterbenden Rang der Caudillos zu streiten, lohnte sich nicht. Die Politik ging in Richtung Zentralismus. Die neue Macht lag in Caracas und bei den schnell wachsenden Großbanken, die den Präsidenten und seine Freunde bedienten.

Nachdem der alte Caudillo, Don Ignazio, gestorben war, stand ihm nun sein Sohn, der neue Don Ignazio, gegenüber und schenkte ihm ein Glas dunkelbraunen Solera Santa Teresa 35 Años ein, die Flasche fast soviel Wert wie sein Pferd draußen.

Der junge Caudillo stand hinter einem riesigen dunklen Schreibtisch, hinter ihm das übermenschliche Ölportrait des Vaters. Eine alte Guajiro Indianerin brachte ihnen Wasser und verschwand leise wieder. Der Raum bestand aus Holzwänden und Ledersesseln. Die alten Öllampen in den Nischen waren mit Glühbirnen erneuert worden und strahlten nun warmes Licht aus.

Don Pedro schaute Don Ignazio fest in die Augen. „Die Zukunft gehört den Jungen,“ sagte er und nahm schnell einen gehörigen Schluck vom Santa Teresa. „Du brauchst Ingenieure, junge Unternehmer, die den Standort Trujillo stark machen. Gleichzeitig brauchst Du eine starke Vertretung in Caracas, die für die Region einsteht. Unser Büro dort befindet sich in der Nähe des Präsidentenpalastes. Es ist für Dich das perfekte Büro für wenn Du Dich beim Präsidenten vorstellst. Ich werde um eine Audienz bitten. Die Kosten für diese wichtige Mission trägt meine Firma.“

Als Don Pedro abends zu Hause in Santiago erschöpft vom Pferd sprang, kam ihm Pedrito entgegen. Am liebevollen Lächeln seines Vaters konnte er gleich sehen, wie es ausgegangen war. Er war für immer vom Militärdienst befreit.

Ein Jahr später machte Pedrito seine Hochschulreife, den Bachillerato.

Zwei Jahre danach stand Pedrito eines Tages im Sonntagsanzug als diplomierter Ingenieur vor Elbitas Haustür und bat seinen Onkel um die Hand seiner Cousine.

Am 20.März, an Lilly’s Geburtstag. Zwei Tage nach ihrem Tod in Zürich, wurde im Spital von Maracaibo Elba del Rosario geboren, das fünfte von sechs Kindern von Elbita und Pedrito.

Sie wurde liebevoll ‚La Nena‘ genannt.

Kapitelübersicht

Share this post

KINSALE
KINSALE
1.3. La Nena
1
Share

No posts

© 2025 Eduardo de Leon
Privacy ∙ Terms ∙ Collection notice
Start writingGet the app
Substack is the home for great culture

Share